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Das Berliner Seminar für Waldorfpädagogik wurde 1989 noch vor der Maueröffnung gegründet. Iris Didwiszus arbeitet seit Ende der 90er Jahre als Dozentin hier und hat 2010 mit Christoph Doll im Team die Seminarleitung übernommen.

 

Was würden Sie einem interessierten Menschen sagen, wie Pädagogik bei Ihnen verstanden und gelehrt wird?

Didwiszus: Einmal sagt man ja, Waldorfpädagogik ist Beziehungspädagogik. Da denkt man natürlich vordergründig an die Beziehung der Pädagogen zur Klasse. Da gehören aber noch andere Beziehungsstränge dazu. Zum Beispiel um die Beziehung zum Unterrichtsinhalt. Und wie ich ein Feld schaffen kann, in dem die Schüler*innen in Beziehung zu dem Stoff treten können. Und das findet nicht im luftleeren Raum statt.

Das müssen Sie erklären.

Didwiszus: Wir können denen hier einen Raum bieten. Wo wir ihnen bestimmte Erfahrungsfelder ermöglichen. Wir verstehen das nicht als Technik. Darum gibt es bei uns auch keine Rezepte. Wir sagen, du kannst keinen Unterricht vorbereiten. Du kannst nur Dich auf den Unterricht vorbereiten.

Doll: Wir sind hier mit Schüler*innen zusammen, die in eine Zukunft wollen. Dafür müssen wir diese Zukunft in uns schon lebendig machen, um dann im Augenblick des Unterrichts unmittelbar präsent zu sein mit dem, was uns bewegt hat. Das heißt, wir schauen alle Unterrichtsinhalte in allen Jahrgangsstufen so an, dass sie uns Gesichtspunkte liefern, die wir gebrauchen können, um die Entwicklung der Kinder fördern und unterstützen zu können.

Berlin ist die Metropole in Deutschland. Es leben Menschen aus 191 Nationen in der Stadt. Wie wirkt sich das auf Ihr Kollegium aus?

Didwiszus: Das Kern-Kollegium besteht derzeit aus acht Kolleg*innen, drei Frauen und fünf Männer, dazu drei Frauen in der Verwaltung. Wir kommen aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Südafrika und Kolumbien. Unter uns Dozierenden gibt es verschiedene Religionen und sexuelle Orientierungen, die offen gelebt werden.

Doll: In diesen Hard Facts drückt sich auch unsere Haltung aus. Wir haben keine Labels wie Inklusion oder Interkulturalität oder so etwas. Wir kommen als Kollegium zusammen, das diese offene Begegnungsfähigkeit lebt. Das bedeutet auch, dass wir wissen, woher wir kommen und wie wir sozialisiert sind. Und uns das zum Beispiel auch sagen, „da hast du was in deiner Intonation, was mich verletzt“. Diskriminierungssensible Sprache ist ein großes Thema, bei dem man sich auch selbst immer wieder hinterfragen muss. Und das ist gerade in einer Metropole wie Berlin wie in einem Brennglas spürbar.

In Berlin gibt es elf Waldorfschulen und noch mehr Kindergärten. In Brandenburg noch weitere. Arbeiten Sie bei der praktischen Ausbildung ihrer Studierenden mit diesen Einrichtungen zusammen?

Didwizsus: Ich bin selbst an einer Waldorfschule in Berlin zur Schule gegangen und hab 20 Jahre und diversen Schulen unterrichtet. Dadurch kenne ich nahezu alle Kolleginnen persönlich, entweder weil ich mit ihnen gearbeitet oder sie selbst ausgebildet habe.

Für die einzelnen Studierenden kann ich so sehr gut eine passende Mentorin finden. Auch melden sich die Schulen oft bei uns, wenn sie einen neuen Kollegen suchen, häufig bevor die Stelle ausgeschrieben wird.

Doll: Es geht gar nicht anders, als dass wir einen ganz engen Kontakt zu den Schulen in Berlin und Brandenburg haben, weil in unserem Ausbildungskonzept die Praxis einen hohen Anteil hat. Und die Studierenden ja nur dort in den Schulen das eigentliche Lehrer-Sein anschmecken und probieren können.

Und jetzt noch mal aus der Perspektive ihrer Studierenden: wenn man die Ausbildung bei Ihnen abschließt, wie sieht es mit der Arbeitsplatzsuche aus?

Doll: Unsere Vermittlungsquote ist immer um die 80 Prozent. Diese praktischen Zeiten an den Schulen helfen dabei, aber es gibt für die Vielzahl unserer Studierenden hier gar nicht genug Stellen. Wir bilden daher auch für die ganze Bundesrepublik aus.

Didwizsus: Das ist uns auch eine Herzensangelegenheit, diese Netzwerkpflege. Und das ist auch für viele Studierende ein Kriterium, die Ausbildung bei uns zu machen, weil die Wege sehr kurz sind. Wir haben ja viele alleinerziehende Elternteile oder Menschen, die noch anderweitig eingebunden sind. Und da können wir bei Härtefällen meist sogar gewährleisten, dass die in ihrem Stadtteil ihr Praktikum machen können.

Ihr Seminar ist in Berlin-Mitte ja sehr zentral gelegen. Keinen halben Kilometer vom weltberühmten Alexanderplatz entfernt. Beeinflusst diese Lage Ihre Arbeit?

Didwizsus: Also, der Ort hat in jedem Fall Einfluss auf unsere Arbeit und auch auf den Zulauf. Und das wollen wir auch. Wir residieren hier nicht am grünen Stadtrand in einer grünen Villengegend. In dem kleinen Park vor unserer Tür wird gedealt, Wohnungslose suchen sich Plätze und jeden Tag finden wir auf unserem Grundstück benutzte Spritzen.

Das kann man negativ finden, aber es ist eben auch eine Seite von Berlin. Die Wirklichkeit. Hier springt einem tagtäglich die soziale Situation der Gesellschaft ins Auge. Und an der Ecke gegenüber liegt SAP und alles drum herum ist voll mit Touristen. Das ist die Welt. Dafür wollen wir eine Pädagogik anbieten. Waldorfpädagogik ist eben im Gegensatz zu vielen anderen Reformpädagogischen Strömungen bewusst nicht in die grüne Natur gezogen, sondern wollte mitten in die Stadt. Genau dahin, wo Zukünftiges entsteht.

Doll: Ja, es ist für die Studierenden deshalb von Bedeutung, weil sie die vielen Klischees über Waldorfpädagogik lesen und dann sehen, dass wir uns hier ins Sandstrahlgetriebe der öffentlichen Meinung gestellt haben. Wir bieten uns an, als ein Ort wo man reingehen und sich austauschen kann, als ein Ort, der sich präsentiert, der bereit ist, fürs Diskutieren und die Gesellschaft annimmt und versucht, die gesellschaftlichen Nöte zu verändern.

Was macht das Berliner Seminar so besonders?